… oder eine weitere Geschichte über die Unfähigkeit der Menschen zur Co-Existenz ??
Ich schau auf meine estnische Tischfahne – ja so ein Teil, das man gewöhnlich bei einer Fußball-WM in den deutschen Farben auf dem Tisch hat – und frag mich, ob ich jemals wieder im Winter damit wedeln kann oder überhaupt will.
Ich glaube so viel Englisch wie in den letzten Wochen habe ich die ganzen 34 Jahre meines Lebens vorher nicht von mir gegeben. Ich fang schon an auf Englisch Selbstgespräche zu führen. Mal ganz zu schweigen von der Tatsache, dass der Google Übersetzer und mein dickes fettes Estnsich-Deutsch-Wörterbuch meine treusten Freunde geworden sind. Ab und ran kommt auch noch Russisch dazwischen. Man Kopf fühlt sich an wie der reinste Buchstabensalat. Dass ich als allseits bekanntes Sprachtalent überhaupt noch gescheit kommunizieren kann, grenzt an ein Wunder. Der Turmbau zu Babel ist nichts dagegen. Und ich habe das dringende Bedürfnis all den Krams mal in meiner Muttersprache von mir zu geben. Das wird zwar keine Sau interessieren, aber ich habe es mal gesagt.
Tagtäglich toben sie direkt neben uns. In jeder Firma, irgendwo in einem Büro. Diese kleinen blutigen Kriege. Und wir nehmen sie nur war, wenn wir mitten drin sind oder einen Logenplatz haben. Nein, wir sehen sie nicht wenn sie unser Blickfeld verlassen, auch wenn wir den Kämpfern tagtäglich flüchtig begegnen. Tagtäglich toben sie sich aus, die Herren die sich profilieren wollen und über Leichen gehen. Tagtäglich gibt es neue Opfer. Nur wir sehen sie nicht.
Ja die schöne heile deutsche Biathlonwelt. Erfolg, Geld, Fans … wer interessiert sich da schon für die kleinen Exoten wie die Esten (na ja bis auf so was: „Selbst Exoten wie Fuyuko Suzuki aus Japan oder Kadri Lehtla aus Estland hatten der Biathlon-Königin im Einzel den Rang abgelaufen.“ Oder noch besser die Eurosport-Kommentatoren, die gern das für die Fernsehübertragung zu große Starterfeld um die Exoten bereinigen würden. Nein, niemand weiß, was für den ein oder anderen Exoten ein Top30 Platz bedeutet. Was dahinter steckt. Wer steckt dahinter … welcher Kampf …
Cakars begrüßt Lehtlas gute WM-Rennen, war aber immer noch der Auffassung, dass die Teilnahme am IBU-CUP falsch war: „Sie sehen, was dabei heraus kam – ich sagte Lehtla zu Beginn der Saison fünf Mal: Kadri, bitte tritt im Weltcup an. Aber sie wollte nicht. Und daher ist es jetzt nicht wirklich der Zeitpunkt, um die Top30 anzustreben.“ (Anmerkung: Reaktion Cakars auf Lehtlas Enttäuschung nicht beim Weltcup-Finale in Chanty-Mansijsk starten zu können)
Diese Worte ereilten mich, als ich gerade dabei war besagter Kadri Lehtla zu erklären, dass sie stolz auf sich sein solle. Stolz auf das, was sie in dieser Saison erreicht hatte. Zu einer Zeit, wo auch ich noch auf das ein oder andere weiter gute Rennen in der sibirischen Kälte gehofft hat. Mit vielleicht etwas mehr Lockerheit als bei der WM. Am Ende wo es nichts mehr zu gewinnen oder zu verlieren gab bzw. wo der sportliche sieg schon längst eingefahren war und man genießen kann … aber da war sie wieder die Realität. Dieser kleine Krieg, wie er alltägliche überall tobt. Dieser Krieg, der mich schon im November kalt erwischt hatte. Den ich damals schon nicht verstand. Und wie sagt ich damals so schön: „Ich glaube ich habe einiges verpasst seit letztem April. Und ich glaube ich werde bis April brauchen, um mich auf den aktuellen Stand zu bringen.“ … verdammt wie wahr … Manchmal holen einen die eigenen Worte wieder ein.
Du wachst aus deinem Sommerschlaf auf und freust die auf die Wintersportsaison und wirst plötzlich damit konfrontiert, dass die bisher beste estnische Biathletin Eveli Saue offiziell ein Jahr Pause einlegt (Anmerkung: ob sie wiederkommt ist offen) und die bis dato zweitbeste estnische Biathletin Kadri Lehtla auch letzten April öffentlich darüber nachdenkt, ihre Karriere im Alter von 26 Jahren zu beenden. Glücklicherweise entschied sie sich jedoch dafür ihre Karriere fortzusetzten – jedoch außerhalb der Nationalmannschaft zu trainieren. Und dann knallt dir plötzlich gleich die von der Verbandsführung angeheizte Diskussion über ihre Entscheidung im IBU-Cup zu starten ins Gesicht. Und du verstehst nur Bahnhof. Und du fragst dich, wo du denn da gelandet bist. Was ist am IBU-Cup falsch? Warum muss ein Trainer öffentlich sagen, dass er nicht möchte, dass ein Athlet im IBU-Cup startet. Warum ist der Weltcup der Nabel der Welt? Und der IBU-Cup die Hölle? Was ist daran falsch, wenn ein Athlet sich mit guten Resultaten in der zweiten Liga neu motivieren möchte? Warum das dann auch noch öffentlich kritisieren? … Oder ist das einfach nur Rache? Rache, weil jemand entschieden hat, seinen eigenen Weg zu gehen. Aber müssen wir dies nicht ab und an tun? Unseren eigenen Weg gehen, wenn wir feststellen, dass es zusammen nicht wirklich funktioniert.
Um so schöner, wenn das Resultat zeigt, dass es richtig war. Oder wie soll man sonst folgendes bewerten: beste Weltcupplatzierung der Karriere, Platz 22 im Einzelrennen bei der WEM und somit besser als M. Neuner, D.Domracheva etc., 6 Top30 Platzierungen im WC, Platz 28 in der WC-Gesamtwertung der Einzelrennen, Verdreifachung der gewonnen Weltcuppunkte im Vergleich zu den Jahren davor, Führende in der Gesamtwertung des IBU-Cups nach 9 Wettbewerben, erstmals estnische Meisterin im Skilanglauf und und und …
„Kadri Lehtla: Man, man, man – wenn die von Beginn an dabei gewesen wäre… – oder sie sollte öfter mal pausieren“ (Kommentar von Marcus auf meiner Wiki-Diskussionsseite)
Und am Ende realisieren das nur wenige Leute – und davon sitzen auch noch einige im Ausland. Mal ganz zu schweigen vom Cheftrainer und dem Verband, die einem weiß machen wollen, wie toll doch die Athleten, die mit der Nationalmannschaft trainieren, in dieser Saison abgeschnitten haben. Nein stattdessen macht der Verband Fehler und hakt auf seiner besten Athletin rum …
„Ja vielleicht bin ich schuld, aber was soll ’s? … Aber XYZ hat/ sollte/ müsste .. ach, aber Sorry an meinen guten Freund A, der hier unverschuldet zwischen die Räder gekommen ist!“
Eindeutig mein Highlight der letzten Wochen. Der Satz macht mich wahrscheinlich so wütend, da er so bezeichnend ist – so gewöhnlich. So gleich zu dem, was ich immer wieder im Alltag erlebe. Menschen in Führungspositionen (ich lass jetzt mal bewusst unsere Politiker weg), die es nicht schaffen Fehler einzugestehen ohne mit dem Finger auf andere zu zeigen. Die nicht daran interessiert sind, die Ursache zu beseitigen, so dass die gleichen Fehler nicht wieder passieren. Nein, man ist damit beschäftigt, die Schuld von sich zu schieben, auch wenn man selbst Schuld ist. Und wenn man dann schief angeschaut wird, dann fängt man an wild um sich zu schlagen und hat nur noch ein Messer zwischen den Zähnen. Koste es was es wolle. Jetzt gilt es nur noch seinen eigenen kleinen Arsch zu retten. Was interessiert mich mein Gegenüber.
Der von mir oben angeführte Satz stammt aus einem Interview mit dem estnischen Verbands-Präsidenten, der darauf reagieren musste, dass Kadri Lehtla öffentlich gemacht hatte, dass ihr der Start in Chanty-Mansijsk vom Verband im Dezember zugesagt wurde. Ich erwähne dies nur deshalb, weil in besagtem Interview kritisiert wurde, dass Lehtla an die Öffentlichkeit ging und somit öffentlich Kritik äußerte. Wer im Glashaus sitzt, sollte aber nicht mit Steinern werfe, liebe Herren vom estnischen Verband. Jemanden für eine öffentliche Kritik zu kritisieren und gleichzeitig selbst öffentlich zu kritisieren, wie in diesem Interview hinreichend geschehen, gibt kein gutes Bild. Alles andere als ein gutes Bild.
Und dabei wäre es doch so einfach gewesen. „Mein Fehler (Punkt). Sorry Kadri (Punkt). … auch wir sind noch am Lernen wie wir mit dieser Herausforderung umgehen sollen. Wir werden dies in Zukunft besser machen (Punkt).“ …
Ach ja, ein Start der besten estnischen Biathletin in Sibiriern war nicht möglich, da Estland aufgrund von Geldmangel nur drei Teilnehmer schicken konnte. Da die estnische Männer-Mannschaft die Möglichkeit hatte den 15. Platz in der Nationenwertung zu erreichen und somit einen vierten Startplatz für die kommende Saison. Ergo wurden drei männliche Starter geschickt. Prinzipiell nichts dagegen einzuwenden. Aga (aber) die Situation war nicht erst drei Tage vor dem Abflug nach Sibiriern bekannt und ich bin immer noch der Ansicht, dass man die fehlenden 400 Euro auftreiben hätte können. Und wenn ich mich persönlich mit der Sammelbüchse in Ruhpolding an die Strecke gestellt hätte. Man hätte die Situation ohne öffentliche Schlammschlacht lösen können. Man hätte es nur wollen müssen. Und das werde ich nie verzeihen. Und die dann folgenden und oben erwähnten Aussagen schon mal gar nicht. Nein ich werde mich immer dran erinnern.
Hab mich fleißig im Schlamm gewälzt und daher Babel-Chaos im Hirn. Und ich hoffe immer noch, dass meine Gegner/ Diskussionspartner einfach „Biathlon-Fans“ sind und nicht mehr … ansonsten Gute Nacht estnisches Biathlon. Die Schockstare lässt nur langsam nach. Mal ganz zu schweigen von der Tatsache, dass auch Berichte, die mit diesem Thema hier so rein gar nichts zu tun hatten, negativ gegen Lehtla kommentiert wurden. Und die erbrachten Leistungen niedergemacht wurden. Und wie gesagt, ich hoffe immer noch die Schreiberlinge einfach „Biathlon-Fans“ sind, die einfach nur auf der anderen Seite stehen, und nicht mehr.
Es gibt keine Probleme, es gibt nur Herausforderungen.
Ich kam zu dem Schluss, dass alles schon vor der Verpflichtung Cakars begonnen hat. Wo sich bei einigen Athleten schon Widerstand gegen Cakars zeigte. Wo Athleten wie Saue und Lehtla einen finnischen Trainer befürworteten, mit dem sie schon länger zusammen arbeiten. Alles in allem kein guter Start, wenn man als Trainer oder Chef oder was auch immer irgendwo anfängt, wo man weiß, dass einige dich nicht haben wollen und auch noch mit deinem Konkurrenten weiter zusammenarbeiten. Wenn du dann nicht als Verband/ Firma steuernd eingreifst, dann wird das ganze zu einem Selbstläufer. Emotionen auf beiden Seiten. Kampf auf beiden Seiten. Es kann nur einen (Weg) geben. Missverständnisse. Vieles kennen wohl nur die Beteiligten selbst. Und am Ende, ja am Ende gibt es nur Verlierer. Und die größten Verlierer sind die Fans.
Ich lass letztens das Wort Symbiose. Aber so weit will ich nicht gehen. Ich bin für Co-Existenz. Man hätte Cakars die Arbeit mit den jungen Talenten machen lassen sollen. Und wer sonst noch mit einem lettischen Trainer arbeiten will, der nur Russisch spricht und außer einer guten Athletin, die er betreute, auch nichts im Lebenslauf vorzuweisen hat. Und Saue, Lehtla und Co. privat trainieren lassen sollen. So wie auch ein Michael Greis. Und wenn die Leistung stimmt, dann haben alle etwas davon. Klar ist das mehr Koordinationsaufwand für einen Verband. Mehr Kommunikation etc. Aber nicht unlösbar. Man hätte es nur wollen müssen. Es hätte so einfach sein können. Stattdessen, ja stattdessen tobt ein Krieg. Und am Ende gibt es nur Verlierer.
Ich weiß nicht, was die nächste Saison bringen wird. Aber irgendwie habe ich etwas Angst davor. Noch mehr Druck? Zu hohe Ziele? Jedes schlechte Resultat ein gefundenes Fressen? Und die Unbeschwertheit … ? Werden meine Worte noch mal so einen Bedeutung haben, wie in den letzten Tage der Saison? Werden wir überhaupt noch mal eine Chance haben nächste Saison? Oder werden demnächst Leichen vom Schlachtfeld getragen? …
Ich schau auf meine estnische Tischfahne – ja so ein Teil, das man gewöhnlich bei einer Fußball-WM in den deutschen Farben auf dem Tisch hat – und frag mich, ob ich jemals wieder im Winter damit wedeln kann oder überhaupt will. … Einfach nur ein Staubfänger? – Dafür gibt es ja Staubsauger. Und die kann man ja bei der estnischen Biathlon-Meisterschaft als Hauptpreis gewinnen.
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