Himmelblau

Das große Umziehen in den blauen Himmel hat begonnen. Oder so ähnlich. Und gleichzeitig ist das was man so mitbekommt, das nächste spannende Realexperiment. Ne Realexperiment triffts nicht so genau. Eigentlich dürfen wir einfach nur wieder zugucken. Wenn wir wollen. Beobachten. Zum einen haben wir wieder den gleichen Effekt wie bei Mastodon. Die Progressiven gehen voran und Liberale und Konservative bleiben zurück. Zwischenzeitlich klang es mal fast so, als würde zumindest Intellektuellen-Twitter dieses mal geschlossen zu BlueSky wechseln wollen. Aber irgendwie gibt es auch dieses mal eher den Effekt, dass man sich aufteilt. Auch wenn der ein oder andere nicht-progressive Account auch sein Glück im blauen Himmel versucht.

Das wiederum eröffnet Einblicke. Weil was passiert auf einer schönen großen grünen Wiese, auf der du dein neues Zuhause einrichten willst. Eine schöne grüne Wiese wo noch nix ist. Niemand denkt darüber nach wie man es gestaltet, damit möglichst viele ihren Platz finden. Nein man gestaltet die schöne neue Welt so, wie man es für richtig hält. Inklusive, die anderen mögen doch bitte gleich mal draußen bleiben. Sixtus führt mal gleich neue Blocklisten ein, auf denen jeder landet, der „mit Rechten redet“. Nennt das ganze dann Mitte-Extremisten. Und so weiter. User, die mitdenken und was anmerken und für mehr Pluralität werben, werden gleich mal von der klassischen Twitter-Armee (Verteidigung des „Angegriffenen“ mit allen Mitteln) freundlichst zurechtgewiesen. Aber im Guten ist mal wieder alles erlaubt. Und überhaupt ist es richtig. Die autoritäre Linke hat immer recht.

Aber irgendwie is das auch mal wieder alles recht logisch. Die Menschen ändern sich nicht. Und auch schon vor Elon war Twitter ein Hauen und Stechen. Und jede Seite hat ihre Scharfmacher und ihre Armee mit vielen kleine Soldaten die dann Kraft ihrer Wassersuppe auskeilen. Und wie früher wenn man freies Land erobert hat, haut man seine Fahne rein und zieht die Mauern hoch. Man gestaltet so wie man will und ohne die lästige Konkurrenz, die man eh bekämpft. Wehe es wagt einer eine Fuß reinzusetzen. Aber man geht natürlich selbst weiterhin vor die Tür, um den anderen zu erklären, wie doof sie sind. Oder so ähnlich. Das neue Status-Symbol ist: Mein social media is viel toller als deins.

WissKomm wird jetzt natürlich voll der Renner, wenn du gar nicht mehr weißt auf wie vielen Plattformen – gibt ja noch x andere – du jetzt was posten musst. Und Politiker und Journalisten müssten kurz vom Herzkasper sein. Woran sollen sich sich jetzt noch halten? Man hielt ja bisher Twitter für die Welt. Zumindest hielt man zu viel davon. Und ich muss gestehen, dass ich jetzt vor der Frage stehe, ob mir geistiger Input fehlen wird. Oder wie ich gezielt an interessantes neues Wissen kommen. Oder einfacherer gesagt, einfach auch nur Fragen/ Ideen/ Denkanstöße, wo man anfängt zu recherchieren und weiterzudenken. Und ob ich das überhaupt noch will. Oder weiß ich mittlerweile genug. Ich grübele noch.

Ich bin am WE über Anton gestolpert. Ein junger belgischer Historiker.

Der Anton vertritt die These, dass soziale Bewegungen dann Erfolg hätten, wenn ihnen eine gewisse politische Infrastruktur zur Verfügung steht, die am Ende ihre Forderungen auch politisch umsetzt/ umsetzen lässt. Soll heißen Parteien, Gewerkschaften, Vereine, Kirchen. Also gesellschaftliche Gruppen mit Einfluss auf reale Politik. Früher waren mehr Menschen in Parteien engagiert oder eben auch in anderen Institutionen. Heute lieben wir das unverbindliche. Treten kaum noch in Parteien ein. Diskutieren lieber online Politik als im Ortsverband. Diese Theorie, dass wir uns weniger organisiert engagieren dafür aber gern im Internet unverbindlich, ist nicht neu. Ist mir schon mehrfach über den Weg gelaufen und ist sicher auch was dran. Anton meint, dass Menschen dennoch weiterhin Interesse haben sich politisch zu engagieren/ zu gestalten. Was man ja im Netz sehen kann.

Gut das endet dann aber in Hauen und Stechen, das sehen wir ja auch. Stellt sich die Frage, ob das funktionieren kann, wenn man für politische Debatten neue Plattformen schafft. Wegen mir auch entsprechend moderiert. Quasi so einen Online Bundestag. Was mich zu einem anderen Punkt bringt. Irgendwer hatte mal gesagt – weiß nicht mehr obs sogar more in common war – dass Politik nicht mehr im Parlament stattfindet, sondern sich durch die digitale Welt und die Möglichkeit der Vernetzung und auch lauten Äußerung einzelner nach außen verlagert hat. Wir können heute alle öffentlich sichtbar mitdebattieren. Nicht mehr nur im Hinterzimmer, in der Kneipe am Stammtisch. Oder im Büro. Politiker nehmen das auch auf und reagieren. Ob das immer gut ist, sei dahingestellt. Aber es ist jedenfalls nicht mehr so wie früher. Politik hat sich mehr in die Öffentlichkeit verlagert. Und man kann vielmehr teilnehmen als früher.

Nur fehlen eben die geordneten Strukturen. Auch bezüglich der „Machtausübung“. Was hilft es dir, wenn du öffentlich mitdebattieren kannst, wenn am Ende keine starke Institution steht, die die Ideen umsetzt. Auch Gramsci hatte in seinem Hegemoniekonzept nicht nur Intellektuelle als Vorturner, Meinungsmacher vorgesehen, die Überzeugungsarbeit in der Gesellschaft leisten sollen, Weltbilder beeinflussen sollen, gesellschaftlichen Konsens so hinterfragen/ verändern sollen. Sie funktionieren bei ihm auch nur mit entsprechenden Strukturen wie Arbeiterräten/ Gewerkschaften, Vereinen, Schulen. Bis hin zu Medien.

Am Ende auch wieder Strukturen schaffen, die dafür sorgen, dass Ideen / Weltbilder entweder von oben nach unten oder eben von unten nach oben weitergegeben werden. Die politische/ gesellschaftliche Infrastruktur war bzw. ist zwar anders als Antonio sich das da so dachte, aber am Ende sind das ähnliche Prinzipien. Gewerkschaften, Ortsverbände, Vereine, Kirchen, Institutionen wo sich Menschen organisieren. Meinungen organisieren. Wegen mir Weltbilder/ Werte. Wo es am Ende keine offensichtlichen Zwang gibt, sondern nur den Gruppenzwang – hart formuliert. Die Gesellschaft in kleine lokale Gruppen aufgeteilt in denen die politische Meinungsbildung erfolgt. Im Zweifel auch identitätsstiftend.

Nur funktioniert das eben heute nicht mehr. Weil wir eben nur noch ein loser globaler Haufen sind. Mit ganz anderen technischen, gesellschaftlichen Infrastrukturen. Auch Informationsfluss ist nicht mehr hierarchisch organisiert. Und der persönliche Dunstkreis nicht mehr so beschränkt. sowohl was die eigene Außenwirkung betrifft als auch das was auf einen einprasselt. Dieser Kampf um Deutungshoheit ist ja ein Ringen um die einzelnen Personen geworden. Mit ganz viel Geschichten. Und vielen neuen Versprechungen. Und du kannst hin und her springen wie du willst. Unverbindlich. Neue Freunde suchen. Dein moralischen Konto hier auffüllen und dort entleeren.

Habe übrigens die Theorie emm ich vertrete das Narrativ, dass die Wiedervereinigung mehr Einfluss auf Frauenrechte hatte als jede feministische Bewegung. Und das auch vieles was Rassismus betrifft auch eher eine „natürliche Entwicklung“ ist, weil die nachkommenden Generation der „Einwanderer“/ „Gastarbeiter“ durchaus auch ins bürgerliche vorgedrungen ist. Und nicht nur in Subkulturen versumpfte. Und sich mit der Zeit Dinge verwachsen. Ob das immer nur ein Resultat von sozialen Bewegungen ist bezweifele ich.

Wie man jetzt diese Lücke der fehlenden politischen Infrastruktur für soziale Bewegungen füllen kann oder ob gesellschaftlicher Fortschritt anders erfolgen muss/ kann, is noch eine andere spannende Frage. Weil verändern tun wir uns als Gesellschaft eh jede Sekunde. Nur nicht immer zielgerichtet, da wo die Schmerzen am größten sind.

Aber unabhängig davon wird man nie mehr unterbinden können, dass Menschen in den Möglichkeiten des WWW über Politik reden/ debattieren, wie sie es schon immer auch in der analogen Welt getan haben. Wie sehr man dann auf einzelnen Plattformen aufeinander losgeht im Ringen um Deutungshoheit oder wie sehr man sich einigelt im Gruppendenken wird sich zeigen. Das Ringen um Deutungshoheit wird bleiben. Auch das Ringen um Anhängerschaft. Am Ende geht es immer irgendwie um Wählerstimmen. Da hilft es auch nicht, wenn man Räume für „gesittete“ Debatten schafft. Das wird nicht mehr weggehen.

In dem Zusammenhang: Ich bin mir nicht sicher, ob es der Gesellschaft so viel bringt, wenn ich auf dem Bahnsteig mit nem Geschäftsmann über Politik quatsche. Gut wir können uns gemeinsam über die Grünen aufregen oder so, aber ich glaube nicht, dass es das ist was Robert meinte. Von wegen es wäre gut wenn Menschen mit unterschiedlichen Lebenssituationen sich austauschen würden. Frage mich, ob er grade bei more in common war. Oder wie er auf diese Idee kommt. Aber ich muss nicht alles verstehen. Hilfreich fände ich es, wenn Politiker diese unterschiedlichen Lebenssituationen kennen und verstehen würden. Damit sich Menschen bei ihnen auch gut aufgehoben fühlen können.

Und um den Bogen wieder zum Anfang zu spannen. Ich habe für mich ja festgelegt, dass ich nirgends hinziehen werde. Was gäbe es dort zu holen? Ich hab Twitter vor 4 Jahren oder so reaktiviert, ob der SPD meine Meinung zu sagen. Ein über die letzten Jahre enttäuschter Wähler. Der mit den internen Querelen, der Inhaltsleere und dem linken Umgang mit dem politischen Gegner. Stellen wir fest, es ist nicht besser geworden. Und wird es auch nicht. Und zwischen all den Kommentaren hört dir eh keiner zu. Es ist eh nur eine Pseudoselbstwirksamkeit. Ein Massenveranstaltung von Menschen, wo du dein eigenes Wort nicht mehr verstehst und geschweige denn jemand anderes das, was du sagt, hören kann.

Und Irgendwie habe ich ausdebattiert. Das eh schon länger. Und weiß eh immer noch nicht, was Frank Walter wollte, als er sagte die Gesellschaft möge Klima und Co ausdiskutieren. Wir können uns endlos im Kreis drehen, bis wir alle gegrillte Würstchen am Spieß sind. Und wenn man etwas bei all den Debatten lernt, dann das man immer und immer wieder von vorn anfangen muss. Und immer und immer wieder die gleichen Debatten führt. Auf die Dauer weder befriedigend noch bringt es irgendwas. Unangenehme Emotionen mal gar nicht betrachtet.

Was aber auch stimmt, is dass ich viel gelernt habe. Weil man Interviews unter die Nase hielt, wissenschaftliche Artikel, Podiumsdiskussionen oder auch einfach nur Fremdwörter. Und manchmal auch einfach nur Puls. Und dann fängst du an dich mit Themen intensiver zu befassen. Jenseits dieser oberflächlichen Hypes oder Shitstorms.

Ich könnte mich ja mal wieder mit Barré Griffen befassen. Oder mit weniger Theorie und mehr Praxis.

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