Nicht meine Welt von Morgen

Was mir immer untergeht zwischen all diesen Kämpfen um die Zukunft, ist ein Thema, das für mich immer mit einer besseren Welt verbunden war. Das ist nicht dieses typische Gerechtigkeitsding. Ich hab mir für die, die nach uns kommen, immer erhofft, dass die Welt weniger durch Schein geprägt ist und mehr durch Sein. Ich bin ja noch in der DDR sozialisiert zum Großteil. Um dann in der Pubertät mit der Freiheit und dem Anders-Sein im Westen konfrontiert zu werden. Was viele, die die DDR verließen in Richtung Westen damals veranlasste wiederzurückzukehren, war diese Kälte. Dieses Ausnutzen von Naivität, diese Unechtheit. Dieser Schein. Dem du auch nicht rauen durftest, wenn du nicht gefressen werden wolltest. Man war das im normalen Leben nur bedingt gewohnt. Nicht dass es Selbstdarsteller nicht auch im Osten gegeben hätte, aber weniger. Es hatte ja eigentlich keine Vorteile.

„Warum brauchten die Wessis 13 Jahre fürs Abitur, ein Jahr länger als die Ostler? Antwort: Weil ein Jahr Schauspielunterricht dabei ist.“ — Regine Hildebrandt

Quelle: https://beruhmte-zitate.de/zitate/2001592-regine-hildebrandt-warum-brauchten-die-wessis-13-jahre-furs-abitur-e/

Und es ist mit der Zeit nie besser geworden. Man gewöhnt sich an Dinge. Erarbeitet sich Strategien, um Schein zu erkennen. Schaft sich seine Welt mit mehr oder weniger davon. Schaft sich sein Ich. Erfindet sich. Auch neu wenns sein muss. Und wen man will kann man sich dabei auch noch zerschnippeln lassen

Ich bin ja immer noch mittelschwer entsetzt von dem UpdateDeutschland-Ding. Ich habe junge Leute erwartet die stottern und rot werden vor Aufregung. Was man bekommen sind Dauerstrahlemenschen mit lustigem Vokabular und ganz viel Energie.

Super intensiv. Voll die Journey. Voll der Informationsoverload. Mit viel Coden sogar gleich ne neue Programmiersprache gelernt wegen Skills und so. Vergessen wir die Power nicht und das breite Lächeln. … wat an einem Wochenende alles so geht. Und ja das zieht sich durch. Unglaublich triffts.

Ich knabbere irgendwie immer noch dran. Es hat sich so wie im falschen Film angefühlt. Aber was erwarte ich im Jahr 2022? Früher hast das unmittelbares Umfeld beeindrucken „müssen“. Heute die ganze Welt. Man ist vernetzt. Man präsentiert sich online der ganzen Welt. Man sucht nicht nur seine Position im kleinen Reich sondern in der großen Welt. Da zählt nicht kleckern sondern klotzen. In einer Zeit der Selbstoptimierung, Schönheitswahn und Instagramm. In einer Zeit der Influencer. Man muss nix mehr lernen, um erfolgreich zu sein. Kanal auf und lächeln und gut ist. Grob formuliert.

Und daneben gibt es noch dieses Problemchen der moralischen Selbstdarstellung. Ich lies mich darüber ja auch schon mehrfach aus. Zuletzt vor ner Woche. Philipp schreibt grad Buch drüber hat er erzählt. Ach guck mal. Kann man sogar einbinden.

Ja es geht um Status bei der Selbstdarstellung. Und die verändert sich halt durch das Internet. Es sind die Worte die man verwendet, die Gruppen denen man sich anschließt, das Lächeln in die Kamera, die Moral die man nach außen trägt. Und überall irgendwas sehen, was ungerecht ist, was falsch ist, wo man Haltung zeugen muss. Weil das erwartet wird. Vom Rudel. Von denen zu denen man dazugehören will.

Das Netz verändert nicht nur den Diskurs, es öffnet viel mehr Spielraum zur eigenen Darstellung. Noch mehr als wir hatten. Weil auch die reale Welt existiert noch. Und auch da spielt Status und Statussymbole weiter eine Rolle. Philipp meinte auch mal, dass er auch Sprache dazu zählen würden. Früher hat man sich das teure Gemälde irgendwo hingehangen. Heute geht das nicht mehr weil materielle Statussymbole nicht so gut kommen bzw. man riskiert, dass das jemand Essen drauf wirft. Also braucht man was anderes um Anerkennung und Rang in der Gesellschaft / Subgruppe zu erarbeiten.

Materielle Statussymbole musste man sich früher hart erarbeiten. Die heutigen Statussymbole mit moralischen Selbstdarstellung, der richtigen Sprache etc. laden ein zum Schauspieler sein. Mehr sein als sein. So tun als ob. Sich wirklich sorgen, engagieren etc muss man nicht mal. Sich Anerkennung verdienen ist nicht mehr nötig. Man muss nicht mal mehr im vorgegebenen Rahmen sich wissenschaftliche Lorbeeren erarbeiten, um als Wissenschaftler der Stunde bezeichnet zu werden. Die ganze Welt spielt dieses Spiel ja mit. Medien, Politik etc.

Ja es gab sie wohl schon immer die Blender, die Selbstdarsteller. Auch die mit der feineren Sprache etc. Und wahrscheinlich gab es die auch schon im Mittelalter. Aber jetzt haben wir Rahmenbedingungen geschaffen, die das ganze bestärken. Noch mehr dazu verführen, um seinen Platz zu finden.

Und eigentlich war mein Traum einer besseren Welt damit verbunden, dass genau das nicht mehr nötig ist. Dass wir wegkommen von der Welt des Scheins. Ich sagte mal, dass wir die Welt nur vorbereiten können, so dass die die nach uns kommen sie besser machen können. Und da ging es mir genau um sowas. Nicht um diese absolute Gerechtigkeit. Und die Bekämpfung des Klimawandels ist eh Grundvoraussetzung, dass sich überhaupt noch was verbessern lässt.

Eine Welt mit noch mehr Schein. Vor allem mit einem immer stärkeren Wettbewerb der Selbstinszenierung. Der moralischen Überbietung. Wenn Dinge die Freude machten früher -wo man zusammen kam. Wo man glücklich war. Gemeinsam. Jetzt nur noch bewertet werden und danach gehandelt werden muss. Nach der richtigen Moral. Wenn Sport nicht mehr Sport ist, sondern Moral. Mir missfällt das gerade mit dem Sport extrem. Es gab mal dieses Gesetz, dass Sport von Politik zu trennen ist. Bei aller Kritik an den Organisationen und der Kuroption. Sportveranstaltungen waren gerade in Zeiten des Kalten Kriegs etwas was Wärme und Miteinander bedeuteten. Jetzt ist alles nur noch Moral und Kampf. Und die die ihr Leben / ihr Kindheit/ ihre Jugend dafür opferten dabei sein zu dürfen. Bei ihrem großen Traum. Die stehen jetzt zwischen den Stühlen jenseits der Glücksmomente.

Das ist alles keine Entwicklung, die ich für richtig halten. Und fern von dem, was ich mal als Traum einer Zukunft hatte.

In dem Zusammenhang: Maren Urner hat mich ja auch verloren. Als sie mal eine Artikel teilte über eine Frau. Einen Artikel, der angeblich Hoffnung geben sollte. Laut ihren Worten.

https://twitter.com/SilvaAtTwitta/status/1405811590176378884

Wenn das entfernen von Brüsten und Gebärmutter als Bewältigung von traumatischen Erfahrungen eine Lösung sein soll, die Hoffnung gibt. Dann bin ich raus. Zumal man sich zusätzlich noch entsprechend darstellen muss in der Öffentlichkeit. Als Künstler emm y. Es kann nicht sein, dass wir es als gute Lösung erachten Kunstobjekte aus uns zu machen, Uns verstümmeln als Lösung für Traumata. Dass gerade Traumbewältigung nicht einfach ist, will ich nicht bestreiten. Aber das kann nicht die Lösung sein, und sicher keine Vorbild für die Bekämpfung von Problemen. Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Das ist alles nicht das was ich mir für die, die nach uns kommen, wünsche. Keine bessere Welt. Im Gegenteil

Glückliche Menschen in Überzahl
Schlechter Moment um grad da zu sein
Wollt heut nicht rausgehen
Aber ich hab immer Angst, was zu verpassen

Also tanz ich zu Songs, die ich so gar nicht fühl
Und ich rede mit Jungs, von denen ich gar nichts will
Und ich trink noch ’n Shot, weil jeder hier einen nimmt
Ich will mich doch nur normal fühlen
Nur kurz normal fühlen
Ich mach mir ’nen Kopf und es fällt keinem auf
Und ich würd ja was sagen, doch es ist zu laut
Alle sind hier und darum bin ich es auch
Ich will mich doch nur normal fühlen
Nur kurz normal fühlen

Kurz normal fühlen

Mach ich was falsch? Bin ich das Problem?
Keinem hier scheint das sonst so zu gehen
Vielleicht muss ich nur lang genug bleiben
Und so tun, als hätt ich Spaß
Bis ich es mir selber glaube

Also tanz ich zu Songs, die ich so gar nicht fühl
Und ich rede mit Jungs, von denen ich gar nichts will
Und ich trink noch ’n Shot, weil jeder hier einen nimmt
Ich will mich doch nur normal fühlen
Nur kurz normal fühlen
Ich mach mir ’nen Kopf und es fällt keinem auf
Und ich würd ja was sagen, doch es ist zu laut
Alle sind hier und darum bin ich es auch
Ich will mich doch nur normal fühlen
Nur kurz normal fühlen

Kurz normal fühlen
Normal fühlen
Normal fühlen
Normal fühlen
Ich will mich doch nur normal fühlen
Normal fühlen
Normal fühlen
Normal fühlen
Ich will mich doch nur normal fühlen
Normal fühlen
Normal fühlen

Ich tanze zu Songs, die ich so gar nicht fühl
Und ich rede mit Jungs, von denen ich gar nichts will
Und ich trink noch ’n Shot, weil jeder hier einen nimmt
Ich will mich doch nur normal fühlen
Nur kurz normal fühlen

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