Dass ich so meine Probleme mit der Utopie-Konferenz habe, habe ich ja schon ausgeführt. Ich müsste übrigens einen Betrag schreiben „Utopie hat den Irrtum gemerkt“ – man ist mir entfolgt. Am Tag der Freiheit. Warum wohl bloß. Nun gut, ich wollte ja was anderes. Teilnehmer bei besagter Utopie-Konferenz ist ein gewisser Wolfgang Engler. Angekündigt wird er mit folgenden Worten
Wolfgang Engler gilt als „Anwalt des Ostens“. Der Soziologe hat sich intensiv mit der ostdeutschen Identität auseinandergesetzt. Die Nachwendezeit habe zu Brüchen in den Biografien vieler Menschen geführt, so Engler. Er wünscht sich eine gesamtdeutsche Erinnerungskultur, die die Leistung der Ostdeutschen anerkennt. Mit dem Kapitalismus geht Engler hart ins Gericht. Es sei die Ära Kohl gewesen, die nach der friedlichen Revolution viele „Wendeverlierer“ erzeugt hätte: „In den vom Neoliberalismus umgegrabenen Gesellschaften haust massenhaft die Wut.“ Der 1952 in Dresden geborene Engler arbeitet als Hochschullehrer und Publizist. Er war u.a. Rektor der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch.
https://www.leuphana.de/portale/utopie-konferenz/gaeste.html
Ich habe Null Plan wer dieser Herr ist und warum er sich berechtigt fühlt, Anwalt des Ostens zu sein. Und wie so oft, sehe ich einiges anders.
Und nein, nicht der Neoliberalismus hat Biographien gekillt. Der Verlust der Biographien vor 1989 speist sich aus der typischen deutschen Arroganz. Der gleichen Arroganz wie man heute der Welt Klimaschutz erklärt. Es gibt nur die eine wahre, richtige Sicht. Wir zeigen euch, wie das geht. So zumindest die Theorie. In der Praxis versagt man kläglich. Man hält sich für was besseres. Der Ostdeutsche hatte so nie eine Chance auf gleiche Augenhöhe. Zumal es nie im Leben sein kann, dass irgendwas gutes hätte existieren können in einem sozialistischen Staat. Da muss man schon mit der richtigen westlichen Sicht draufschauen. So wie man auch auf die anderen Ostblockstaaten immer noch verächtlich schaut und wie wir wissen nicht auf sie hören wollte. Was können die schon wissen. Wir mit der westlichen Weisheit wissen schon, dass man Wladi vertrauen kann.
Es hat nix mit Neoliberalismus zu tun, auch wenn Ostdeutschland immer noch Niedriglohnland ist und vieles zerstört wurde. Aber der lange nicht geglückt Strukturwandel und das „Ausschlachten“ des Ostens ist nur ein Grund. Viel schlimmer wiegt eben jenes Ignorieren der Welt der Leben vor 1989. Die immer wiederkehrenden Debatten um den Unrechtsstaat, zeugen nur davon dass man nie begriffen hat, was Leben in der DDR bedeutete. Was die Verflechtung von Staat und jedem einzelnen Bürger bedeutet hat. Wie oft habe ich versucht das zu erläutern. Aber man will ja nicht zuhören. Wie sage ich dann einmal Richtung Herrn Polenz: „Ich erwarte nicht mal mehr, dass Sie verstehen wollen.“
Es ist nicht dass kalte neoliberale Herz. Es ist die westliche Sicht auf die Welt. Die eines Staates ganz oben an der Nahrungskette. Das Gefühlt einfach besser zu sein.
Dass die Wunden der Wiedervereinigung nicht verheilt sind, sondern weiter gereicht werden an die nachfolgende Generationen, wird sich nicht ändern, solange man nicht aufarbeitet. Solange da keine Entschuldigung kommt. Das nicht zuhören, das Überhebliche und die Fehler der Treuhand. Ja die Treuhand, etwas was es vorher so nicht gab, auf die Schnelle aus dem Boden gestampft. Etwas wo Fehler vorprogrammiert waren. Das Eingestehen von Fehlern. Entschuldigungen sooo wichtig. Man kann nicht alles aussitzen und rauf hoffen, dass ich einfach so in Luft auflöst.
Aber woher kommt der Rechtsruck des Ostens, woher kommt das Wahlverhalten, der hohe AfD Anteil? Es hat mehrere Gründe. Die Aussagen von Engler sind nur ein Teil der Wahrheit.
Halten Sie es für möglich, dass Ostdeutsche sich mit ihrer Wahl für Desinteresse und Ignoranz des Westens rächen?
Davon bin ich sogar überzeugt. Was wir heute erleben, sind Nachwirkungen des jahrzehntelangen Desinteresses. Ich hatte eine ganze Reihe von Gesprächen, in Eisenhüttenstadt, Cottbus, Magdeburg, wo etliche Leute gesagt haben: „Lange haben wir unserer Enttäuschung zurückgehalten, diese große Kränkung in den frühen 90ern, dass wir zwar politische Rechte erobert haben, aber in unserem elementaren Lebensverhältnissen einen Bestimmungsverlust durch den Verlust der Arbeit erlitten haben. Lange haben wir unseren Protest erst der PDS, dann der Linkspartei anvertraut, aber wirklich durchgedrungen ist das erst, als wir einen Schritt weiter gegangen sind.“
Als sie rechts gewählt haben.
Ja. Mit einem Mal kommen die Politiker, kommen Journalisten in die ostdeutsche Provinz. Wissenschaftler kommen in Gruppen, um die Mentalität zu erforschen. Und da sagen die Menschen: „Jetzt haben wir die Aufmerksamkeit, die uns lange versagt geblieben ist, jetzt stehen wir im Mittelpunkt des Interesses, jetzt kommen die Probleme auf die Tagesordnung. Das war ungefähr das, was wir wollten.“ Rache ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber es gibt so einen Selbstbestätigungseffekt.
https://www.lvz.de/kultur/regional/darum-waehlt-der-osten-rechts-der-soziologe-wolfgang-engler-erklaert-das-wahlverhalten-der-GFQHZ53PBVSCC2ILLIN3V5BCXU.html
Ich komme aus Sachsen-Anhalt. Ich kenne dieses „Denen da oben muss es mal zeigen“ schon aus den 90ern, als die DVU 1998 mit 12,9 % in den Landtag eingezogen ist. Und ja da ging es eben darum etwas zu zeigen, laut hier zu rufen. Ich erinnere mich an Diskussionen aus dem familiären Umfeld. Es war unschön.
Und ja, am Grenzgebiet zu Niedersachsen aufgewachsen, kenne ich auch die westdeutschen Neonazis, die das einsammelten, was der Nährboden der Wende hinterlies. Zschäpe und Co sind meine Generation. Es ist nicht verwunderliche. Eine Generation, die mitten in der Findungsphase herausgerissen wurde aus dem eine System und in das andere gestopft wurde. Und je nach Umfeld mit den Wunder der Wiedervereinigung ohne Perspektive zurückgelassen. Dafür mit ganz viel Bauernfänger drum rum.
Aber hinzukommt auch etwas, was wir gern verdrängen. Und das ist durchaus auch gut belegt. Mangelnde Aufbereitung des Nationalsozialismus in der DDR gekoppelt mit dem zugelassenen Rechtsradikalismus im Untergrund. Da gibt es eine gute Reihe von den Öffentlichen. Muss noch mal suchen. Erschreckende Dinge. Derweil mal das.
Die AfD hat nicht nur im Westen die demokratische Wahl einer rechten Partei salonfähig gemacht. Protest ist das eine. Aber es geht um mehr. Es geht um Dinge, die ihren Ursprung in der Vergangenheit haben. Auch vor der Wende. So ungern ich das selbst wahrhaben mag.
Die Wahrheit ist komplex. Und schmerzhaft. Es kommt vieles zusammen. Und ja, wenn man mehr zugehört hätte, wäre manches anders gelaufen.Und macht es Sinn, sich heute noch drum zu kümmern und aufzuarbeiten? Ich sage ja. Aus diversen Grünen. Sonst wir Deutschland auch in 30 Jahren noch gespalten sein.
Die postsozialistische Transformationserfahrung wie man heute so schön sagt, ist nicht vergleichbar mit dem was an Veränderung aufgrund des Klimawandels auf uns wartet. Niemand wird den Kumpel aus dem Bergwerk oder dem Arbeiter am Band bei BMW seine Biographie stehlen. Abwertend auf sein vergangenes Leben blicken – hoffe ich jedenfalls. Aber was man lernen kann ist, was missglückter Strukturwandel, Arbeitslosigkeit von 25%, falsche Versprechungen, Perspektivlosigkeit mit Menschen / Regionen machen kann. Was dort negatives wachsen kann anstelle positiver Weiterentwicklung. Es hat uns verändert. Menschen gehen, es bleiben blühende Landschaften zurück, weil die Natur sich den Platz zurückerobert. Ich hab komplett gebrochen, weil es nicht mehr meine Heimat war. Nicht mehr der Ort an dem ich eine schöne sorglose Kindheit hatte. Wenn aus dem lebendigen warmen nicht perfekten Dorf, ein leerer kalter aber schön aussehender Ort wird. Ohne Menschen. Oder wie meine Mutter sagte: Wenn ich hier bleibe, kann ich jeden Tag nur auf den Friedhof gehen und auf ne Tod warten. Ein Ort der durchaus mit Glatzen und Springerstiefeln in meinem Gedenken verbunden ist. Die Baseballschlägerjahre waren meine letzten im Osten. Und ich denke immer noch gern zurück an den Penner am Bahnhof. Der nachts um zehn da war. Damit ich nicht allein war. Auf einer Strecke, wo schon mal dem Schaffner die Bierflasche über den Kopf gezogen wurde.
Nein es ist nicht nur der Neoliberalismus. Nein der Neoliberalismus hat uns nicht den Nationalsozialismus zurückgebracht. Nein der Neoliberalismus hat nicht gesagt „he ihr habt keine Ahnung von Kinderbetreuung, wir zeugen euch wie das geht“. Es ist immer noch absurd, dass man den ostdeutschen Erziehern (Krippe, Kindergarten), die Welt erklärt hat. Oder Lehrern. Alls ob die alle pädagogisch unfähig gewesen wären. Und nein das war kein Neoliberalimus, Das war Arroganz. Genau wie das abfällig „kollektive Töpfchen sitzen“. Aber wie heißt es so schön, ohne die Wiedervereinigung hätten wir überall ein Gendersternchen aber nirgends Kitas.
Und für den bevorstehenden Strukturwandel, der leider jetzt nicht kommen wird dank Robert und deshalb schief laufen wird, weil wenn mal Zeit ist, machen wir total smooth den Umbau und dass ja keiner zwischen drin mal … ja wird so nicht funzen. Und irgendwann is es zu spät und die zukunftsfähige Industrie schon längst wo anders. Ich schweife ab. Jedenfalls, kann ich nur hoffen, dass man Abseitslosigkeit entsprechend empathisch begegnet. Und das das nicht einfach mal locker und entspannt ist. Die armen Wissenschaftler habens ja so schwer. Keine Festanstellung und so viel zu arbeiten. um dann vor die Tür gesetzt zu wenden. Da muss man was tun, so geht das nicht weiter. Da müssen wir alle empathisch sein. Aber bei der großen Transformation da soll man doch bitte nicht jammern, wenns einen erwischt. Soviel zum Thema Wertschätzung und langlebige Wunden.
By the way, hier noch ein sehr hörenswertes Gespräch von Philipp mit Steffen Mau
In dem Sinne heute mal ostalgische Mucke
Es neigte ein Schwanenkönig
Seinen Hals auf das Wasser hinab
Sein Gefieder war weiß wie am ersten Tag
Rein wie SirenentonUnd im Glitzern der Morgensonne
Sieht er in den Spiegel der Wellen hinein
Und mit brechenden Augen weiß er
Das wird sein Abschied seinWenn ein Schwan singt, schweigen die Tiere
Wenn ein Schwan singt, lauschen die Tiere
Und sie raunen sich leise zu, raunen sich leise zu
Es ist ein Schwanenkönig, der in Liebe stirbtUnd es began der Schwanenkönig
Zu singen sein erstes Lied,
Unter der Trauerweide
Wo er sein Leben geliebtUnd er singt in den schönsten Tönen
Die man je auf Erden gehört
Von der Schönheit dieser Erde
Die ihn unsterblich betörtWenn ein Schwan singt, schweigen die Tiere
Wenn ein Schwan singt, lauschen die Tiere
Und sie raunen sich leise zu, raunen sich leise zu
Es ist ein Schwanenkönig, der in Liebe stirbtUnd es singt der Schwanenkönig
Seinen ganzen letzten Tag
Bis sich die Abendsonne
Still ins Dunkelrot fliehtLautlos die Trauerweide
Senkt ihre Blätter wie Lanzen hinab
Leiser und leiser die Töne
Bis das letzte Licht im Gesang verglühtWenn ein Schwan singt, lauschen die Tiere
Karat – Schwanenkönig
Wenn ein Schwan singt, schweigen die Tiere
Und sie neigen sich tief hinab, raunen sich leise zu
Es ist ein Schwanenkönig, der in Liebe stirbt