Ich hatte mal einen Wellensittich, der hieß Siggi. Benannt nach seinem Züchter. Aber das nur am Rande. Ich war abends noch ne Runde Running In The Rain. Aus Gründen. Und weil der Regen schön warm war. Jedenfalls ist mir dann auf dem Rückweg Siggi vor die Füße gestolpert. Gewankt. Als würde er gleich umfallen. Auf die Straße.
Ich tus und frage, ob er Hilfe braucht. Siggi hat Rücken. Ganz argh Rücken. So schlimm wie noch nie. Die Schmerzen bringen ihn um. Und gleichzeitig hat er auch einige Promille. Die Kombi scheint mir fatal. Er meint, die Schmerzen sind so stark, dass IBU nicht mehr hilft. Siggi ist irgendwas Ü60. Ich überlege, ob wir nen Krankenwagen brauchen, aber er verweigert. Er schaffts schon nach Hause, nur noch 100 Meter. Das sieht aber nicht danach aus. Also enden wir darin, dann ich ihn frei nach Ex-Kanzler Olaf unterhakele.
Und so ziehen wir 100 Meter um 100 Meter – gleich sind wir da – durch Pfaffenhofen. Uns überholen Menschen, uns kommen Menschen entgegen. Sie schauen, aber das wars auch. Siggi erzählt mir, dass vorletztes Jahr gestorben ist. sie war schwer krank. Irgendwas mit der Lunge. Zwei Töchter haben sie. Sie leben nicht hier. Eine ist mit einem Millionär verheiratet. Er hat ihm angeboten, er könne in einem Hotel wohnen und er zahlt die Rechnung. Aber das wollte er nicht. Er hatte mal eine Hund, den hat er über alles geliebt und umgekehrt, aber den hat die Haushälterin mit nach Österreich genommen. Sein Schwager hat ihn mit dem Erbe abgezockt. Aber seine Wohnung ist immer aufgeräumt und ordentlich. Er wischt jeden zweiten Tag. Der ist Tradition.
Während er redet, muss er nicht an die Schmerzen denken. Das hilft. Ab und an müssen wir eine Pause machen, weil die Schmerzen zu groß sind. Er ist heute schon mehrfach hingefallen. Sein Arzt hat ihm gesagt, wenn er Pech hat, kann er beim nächsten Sturz gelähmt sein. Einen Rollator hat er. Aber heute nicht dabei.
Erinnert mich daran, dass mir vor Jahren schon mal einer vor die Füße gefallen war. Besser gesagt gerollt. Vom Bahnhof runter. Auch hackedicht, Den habe ich nicht mehr hochbekommen. Akku vom Handy war alle. Habe mir dann eins von jemanden, der vorbeikam geborgt um die Polizei zu rufen. Der dann auch gleich wieder wech war. Die Polizei war recht schnell da, damals. Und ich bin ohne Licht im Dunkeln davon gefahren.
Zurück zu Siggi. Seine Frau hieß Prisca. Als sie gestorben ist, saß er mehrere Tag nur einfach so da auf einem Stuhl. Hat nichts gegessen, nicht geschlafen. sie waren viele Jahrzehnte verheiratet. Er hat sie nie betrogen. Er hatte schon seit 10 Jahren keine Frau mehr. Weil seine war ja sehr krank und da war nicht mehr mit Sex. Und er zeigt mir dann seine Wohnung. Gut das ist dann der Moment, wo du überlegst, wie du ihn abliefen kannst und gleichzeitig dich verpissen kannst. Auch wenn du recht sicher bist, dass er keine Chance hat,so wie er drauf is. Aber Kraft haben sie halt doch.
Da hält ein Auto neben uns und der Mann hinterm Steuer fragt, ob er helfen kann. Siggi sagt, nein er schafft das schon. Ich hingegen bitte um Hilfe. Passt Siggi nicht. Und er ist auch nicht unbedingt nett zu seinem Helfer. Aber der trägts mit Fassung. Wir liefern ihn mit vereinten Kräften in seiner Wohnung ab. So groß wie mein Bad. Platz für ein Bett und einen Schrank. Gemeinschaftsklo aufm Flur. Auf dem Schreibtisch steht ein Foto seiner Töchter. Aufgeräumt ist und sauber. Wie er es gesagt hat. Er purzelt in sein Bett. Er bedankt sich bei uns. Ist enttäuscht, dass ich auch gehe.
Also lassen wir ihn allein zurück. Gegenüber vom Friedhof.
Ich bedanke mich bei dem netten Herrn. Wir sind uns einig, dass er uns leid tut. Er fragt, ob er mich mitnehmen kann. Ich verneine. Es ist ja quasi meine Laufstrecke. Es wird langsam dunkel und ich mache noch mal Running In The Rain. Ich laufe und ich rieche Alkohol. Den Siggi an mir hinterlassen hat. Ich rieche Tabak. Mein linker Arm ist im Arsch. Siggi war schwer. Und für meine Muskeln anstrengender als mein Sportprogramm.
Siggi hat gesagt, er ist stolz auf uns, auf mich. Ich hätte ihn heute gerettet. Ohne mich hmm. Ja das glaube ich auch. Der wäre vor nem Auto gelandet. Oder sonst was. Bin ich stolz? Ich weiß nicht. Wir haben ihn allein und einsam zurückgelassen.
Die Woche war hart. Sehr hart. Und damit meine ich nicht meine private Tour de France. Auch wenn mein Körper nach 3 Wochen auch 3 Kreuze macht, dass es vorbei ist. Die Traurigkeit hat mich wieder eingeholt.
Ich knabbere. Drehe Gefühle, Gedanken. Versuche zu sortieren. Krieg es nicht herausgeradelt.
Montag hatte mich ausgeknockt. Das Offensichtliche. Zurück zum Schweigen. Dabei hätte ich so viel zu sagen.
Gefesselt und geknebelt.