Es war einmal … Teil 6

Oder nennen wir es Familiengeschichte ohne Rethinking Marx.

Ich bin nicht Marx kompatibel. An Marx Händen klebt das Blut meiner Familie. Ohne Marx kein Lenin. Ohne Lenin kein Sozialismus mit alle den Millionen Toten. Keine Mauertoten. Keine Stasi. Kein Eingesperrt sein. Ohne Lenin kein Stalin. Ohne Stalin kein Blut meiner Familie an russischen Stiefeln. Kein Aushungern der Ukraine und und und.

Systemisches Denken. Beziehungen. Kausalketten. Lernen aus der Vergangenheit.

Das ist meine Großmutter (rechts oben) mit ihren Geschwistern und ihren Eltern. Meine Großeltern kamen aus Pärnu – Estland. Mein Großvater war deutschstämmiger Großgrundbesitzer. Ich weiß nicht wann seine Familie ins Baltikum auswanderte. Meine Großmutter war gebürtige Estin. Ihre Familie war bei meinem Großvater angestellt.

Als meine Großeltern Ende der 1930er aus Estland nach Deutschland flüchteten (weil mein Großvater deutschstämmig war), „verkaufte“ mein Großvater Land einen meine Urgroßvater. Das Land nahm sich dann Stalin, deportierte meine Urgroßvater nach Sibirien. Unter dem Vorwand, dass man Urgroßvater deutschen Soldaten im zweiten Weltkrieg Unterschlupf gewährt haben soll. Seine enteignete Familie wurde umgesiedelt und musste in estnischen Mooren schuften. Als mein Urgroßvater aus dem sibirischen Lager wieder heim kam, legte er sich auf die Schienen.

Nie wieder! ✌

Es ist nicht die einzige Geschichte dieser Art in Estland. Als meine Mutter Estland besuchten gingen wir auch in ein Museum in Tallinn oder Pärnu, ich weiß nicht mehr. Die Dokumente dieser Zeit sind Dokumente des Grauens. Du stehst vor den gleichen Wagons wie du sie aus der dt. dunklen Zeit kennst. Ihr Ziel war nur nicht Dachau sondern Sibirien.

Das ist mein Großvater. Mein Großvater war in der Zarenarmee. Mein Großvater sagte Zeit seines Lebens über Lenin „Hätten wir ihn mal erwischt.“ Ja er hat Lenin gejagt. Damals. Und weil sie ihn nicht erwischt hatten, kam es wie es kam und auch der Tag als sie ihre Heimat verlassen mussten. Und er wie auch meine Großmutter konnten nie wieder heim. Dahin wo ihr Herz schlug. Meine Großmutter hat darunter sehr gelitten.

Gerechtigkeit und Menschlichkeit geht anders.

Und Estlands Geschichte oder allgemein die russische ist nur ein Beispiel. All die sozialistischen Staaten haben Grausamkeiten und Tote auf sich geladen. Menschen sind nicht edel und gut.

Ich bin ein uneheliches Kind, dessen Vater sagte „Ich oder das Kind“. Obwohl das Ende der 70er im Osten nicht so dramatisch war als Alleinerziehende und meine Großmutter wohl eher in „Oh Gott“ ausgebrochen ist, sagte mein Großvater „Wir kriegen das schon hin“. Vielleicht wäre ich nicht ohne ihn. Auch wenn er nicht mehr viel von mir hatte. Nur noch 5 Jahre. Er war schon alt. Er war 25 Jahre älter als meine Großmutter und meine Mutter hat mich erst mit Mitte Dreißig zur Welt gebracht. Sprich er war über 90. Aber ich das einzige Enkelkind in seiner Nähe. Er hat mir pfeifen beigebracht und Ohren wackeln.

Meine Großeltern und ich 1977
Meine Großeltern und ich 1977

Als meine Mutter studierte – sie stand mit 18 als Grundschullehrerin vor der Klasse und hat später Russisch Studium dran gehangen – musste sie das Kommunistische Manifest studieren. Nach der Prüfung verbrannte sie es im Ofen. Ich zitiere „Es war mir ein Fest mit dem Manifest“. Zu ihrem Leidwesen folgten regelmäßige Weiterbildungen in Marxismus-Leninismus. Und nein meine Mutter war eine Rebellin. Sie mogelte sich durch. Wie es die meisten taten. Hats sogar geschafft um das Parteibuch drum rum zu kommen. Das man Lehrern regelmäßig anbot. Wir hatten Glück auf dem Dorf zu leben. Es gab zwar weniger Bananen, aber es war politisch entspanntet. Und nur wenige bekamen die Macht des Staates zu spüren.

Ich will keine Manifeste. Ich bin Ossi. Manifeste machen mir Angst. Und ich will kein Rethinking Marx. Egal ob Manifest oder Kapital. Das Kollektiv duldet keine Abweichler. Weil die Sippe keine Abweichler dultet und unser Hirn darauf gepolt ist. Das Kollektiv steht über allem.

Es kann nicht sein, dass wir im Jahr 2023 die alten Ideen brauchen, um auf neue zu kommen. Konzepte kommunistischer Vordenker wie Marx, Gramsci. Das hat alles so viel Blut an den Händen. Weil Mensch eben nicht edel und gut ist. Weil Mensch am Ende immer in Hierarchien und sozialen Strukturen fern der Gleichheit lebt. Als Herdentier. Die Evolution is mehr Desaster als Design. Wir sollten wieder mehr „die Welle“ oder „Animal Farm“ lesen … also einige Twitterer. Und jeden Tag kann man zukucken beim blinden hinterhergetrottet, bei der Rudelbildung und Radikalisierung. Die Mechanismen die gleichen. In Gruppen haben Menschen immer die schrecklichsten Dinge getan. Um selbst dazuzugehören und Überzeugungen zu folgen. Hat Fromm sich auch zu den Gräueltaten des Kommunismus geäußert?

Diese Verehrung von Marx ist mir in Rätsel. Ich werde nie auf diese Seite stehen können. Man kann den Kapitalismus auch ohne Marx reparieren.

Es gibt Dinge, die konnten Marx und Co nicht wissen. Wie wir Menschen ticken. Das wir nicht einfach frei modellierbar zu besseren Menschen werden können. Dass Dinge in uns sind, die dazu führen, dass gute Ideen im Leid enden. Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert. Im Sinne der höheren Sache ist alles erlaubt. Ja sie konnten es damals nicht wissen. Aber wir wissen es heute. Und darum verstehe ich auch nicht, wie man hinterherhetzt diesen alten Gedanken. Von Männern die schon lange tot sind. Und deren Gedanken so viel Leid brachten.

Nie wieder ✌

Meine Großeltern starben ohne je Estland wiedergesehen zu haben. Meine Großmutter im Februar 1990. An Krebs erkannt. Sie hat leider Estlands neue Freiheit nicht mehr mitbekommen dürfen. Mein Großvater starb schon Anfang der 80er als ich fünf war. Ich vermisse ihr Grab. Und wenn es mir schlecht geht, vermisse ich sie.

Es tut mir leid, doch ich halt’s nicht mehr aus hier
Ich hab dir gegeben, was geht
Doch wir kommen einfach nicht weiter
Das war es, hier endet der Weg
Das ist der Punkt, an dem alles gesagt ist
Und wir uns trotzdem nicht verstehen
Hey, du bist durch nichts zu ersetzen
Doch unsere Stunden sind gezählt
Ich hab gesucht, doch es gibt keine Lösung
Ich bin stumm, du bist blind
Du wirst mir fehlen, aber glaub mir es bringt nichts
Einen trockenen Schwamm weiter auszuwringen

Ich hab alles versucht, meine Energie ist verbraucht
Mehr hol ich nicht aus mir raus
Ich hab alles versucht, was in meiner Macht stand yeah
Doch es war nie genug

Und das hier sind meine letzten Reserven
Danach bleibt nichts mehr übrig für mich
Wir zwei stehen an verschiedenen Fronten
Und da ist einfach kein Frieden in Sicht
Und du weißt doch genau wie das abläuft
Mit der, frag mich nicht, tausendsten Chance
Wir rotieren in ’ner endlosen Schleife
Und es wird höchste Zeit endlich da raus zu kommen
Ich hab gesucht, doch es gibt keine Lösung
Ich bin stumm, du bist blind
Du wirst mir fehlen, aber glaub mir es bringt nichts
Einen trockenen Schwamm weiter auszuwringen

Ich hab alles versucht, meine Energie ist verbraucht
Mehr hol ich nicht aus mir raus
Ich hab alles versucht, was in meiner Macht stand yeah
Doch es war nie genug

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