Es ist mal wieder eine Absurdität des Lebens, wenn man erst durch den Tod eines Menschen auf dessen Arbeit gestoßen wird. Aber die Forschung von Nora Szech hat mich an etwas erinnert, was ich vor mehr oder weniger genau 3 Jahren irgendwo aufgeschnappt hatte. Dass wir in Gruppen krimineller handeln und die Schuld aufteilen und so davon ausgehen, dass es für den einzelnen nicht ganz so schlimm wird bei der Bestrafung. Und Forscher herausgefunden hatten, dass da die beste Prävention ist, wenn man aus der Gruppe der Beteiligten willkürlichen einen schnappt und den dann so richtig verknackt. Und da das aber vollkommen willkürlich ist und vorher nicht abschätzbar wen es erwischt, dann sind wir dann doch zurückhaltender und machen nicht so einfach mit al wenn man die Schuld eben verteilt. Ich find nur diesen Beitrag nicht mehr.
Und darum werden ich hellhörig, wenn ich eben solche Erkenntnisse lese
Stimmen Menschen gemeinsam ab, verwässert das Verantwortungsbewusstsein und das individuelle Votum verliert an Gewicht. In der Folge steigt die Gefahr erheblich, dass Gruppen und Gremien unmoralische Entscheidungen fällen und der Einzelne seine Überzeugungen über Bord wirft. „Gruppen können zwar viele Perspektiven in ihre Entscheidungen einbeziehen, aber sie entscheiden auch deutlich rücksichtsloser und profitorientierter als Individuen, weil die einzelnen Mitglieder das Gefühl haben, selbst kaum noch verantwortlich zu sein“, erklärt Professorin Nora Szech vom Lehrstuhl für Politische Ökonomie am KIT.
„Eine solche Verwässerung von Verantwortung kann überall zum Problem werden – in Unternehmen, Parteien oder allen anderen gesellschaftlichen Institutionen und Gruppen“, betont Szech
„Entscheidungen in Gruppen sind häufiger rücksichtslos“
Vieles bezüglich solcher Forschung fließt ja immer auch in Unternehmensberatung, Personalberatung etc ein. Das Phänomen der Gruppenpolarisierung sollte ähnlichem Muster folgen. Und ja Moral dient ja unser Verhalten nicht nur zu unserem sichtbaren Vorteil auszurichten. Sondern sich eben diesen Gruppenregeln unterzuordnen, um in der Gruppe Schutz zu finden und auch aufgefangen zu werden, wen Hilfe von Nöten ist. Das hat halt seinen Preis. Und auf eine schräge Art und Wiese sorgt das ach für eine Art Gerechtigkeit. Auch wenn meist manche gleicher sind. Aber lassen wir diese Details. Gruppen haben immer Hierarchien und Sonderrechte. Aber zurück zur Moral.
„Sobald die Verantwortung diffus wird, rücken moralische Erwägungen eher in den Hintergrund. Das zeigt sich auch im realen Leben bei vielen Entscheidungen zwischen Gewinn und Moral, beispielsweise im Abgasskandal“, erklärt briq-Direktor Armin Falk. Um zu vermeiden, dass die Moral bei wirtschaftlichen Entscheidungen auf der Strecke bleibe, sollten Verantwortlichkeiten daher klar definiert sein und Entscheidungsträger möglichst individuell in der Verantwortung stehen.
Verwässerung von Verantwortung untergräbt die Moral
Ich wage jetzt die steile Behauptung, dass das eben nicht nur für den wirtschaftlichen Kontext sprich Markt und deren Akteure zutrifft. Das gleiche Problem kennen wir bei Tragödie des Gemeinguts. Wenn eben etwas „allen“ gehört, dann sind wir auch schneller bereit weniger umsichtig zu sein, als wir sein sollten. Egal ob das öffentliche Klo oder eben die Nutzung der Erde.
Klar Falk und Szech haben sich da speziell auf Märkte/ Wirtschaft konzentriert. Was durchaus nen Punkt hat. Gerade bezüglich was so ein Markt innerhalb einer vor allem globalen Wirtschaft dann eben regelt oder nicht. Und Marktteilnehmer sind da durchaus auch Konsumente. Und da verliert die Moral dann auch wieder recht schnell.
„Wer an einer Stelle ein bisschen bewusster einkauft, sieht dies oft als Freibrief, um andere Werte zu ignorieren – ein bisschen gut scheint gut genug zu sein. Ein konkretes Beispiel, das vielen dazu in den Sinn kommen mag, ist der Konsument aus dem Bio-Supermarkt, der anschließend ins SUV springt und nach Hause braust. Das passiert oft vermutlich ganz ohne schlechtes Gewissen.“
„Die Entscheidung für das bessere Material diente ihnen hier also als ‚moralische Lizenz‘ dafür, den zweiten ethischen Aspekt außer Acht zu lassen. Eine einzelne, geringe Verbesserung im Produkt reicht also aus, um sich ein hohes moralisches Selbstverständnis aufzubauen und sich selbst als ethisch handelnde Person zu sehen.“
Ein bisschen gut ist gut genug – Ausreden und Ablasseffekte beim Konsum
Sprich wenn wir allein auf uns gestellt sind, auf unseren inneren Kompass. Zudem in einer pluralen Gesellschaft, wo es eben keine „fixen“ moralischen Vorgaben gibt. Ja dann handeln wir halt doch wieder sehr eigennützig.
Wenn das wirklich so ist, dass das ganze zeitlich sogar nachwirkt und wir auch ganz flexibel die Themen umschalten können und eine gute Tat beim Thema x mit einer bösen Tat bei Thema Y ausgleichen können bzw. einen Freibrief für die böse Tat verwenden, dann erklärt das einiges. Auch dass wir dann im Kampf für das Gute bereit sind unsere Seele zu verkaufen.
Eines der zentralen Themen von Szechs Forschung war Markt und Moral, etwa beim Thema Fleischkonsum. „Massenschlachtung, Massentierhaltung und immer neue Fleischskandale, das ist ja nichts Neues.“ 90 Prozent seien gegen Massentierhaltung, kauften aber trotzdem das billige Fleisch, sagte sie 2020.
Beim ethischen Konsum klaffe eine Lücke von 10:1 zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Die Menschen erwarteten von sich selbst zehn Mal mehr nachhaltigen Konsum als sie wirklich tätigten.
„Unsere Studien zeigen, dass einzelne gute Taten oft wie Freibriefe wirken. Wer an einer Stelle zum Bio-Produkt greift, rechtfertigt damit, an anderer Stelle nicht mehr so genau hinsehen zu müssen“,
Mitreißend und inspirierend: Bekannte KIT-Ökonomin Nora Szech stirbt mit 43 Jahren
Diese moralische Lizenzierung scheint tief in uns zu schlummern. Immer dann wenn wir auf uns allein gestellt sind. Wir handeln das dann aus zwischen unserem Selbst und dem Sollte-Selbst. Also dem Anspruch an uns selbst. Dass die meisten von uns das scheinbar entspannt sehen, mag gut für die Psyche sein, aber in einer offenen liberalen Gesellschaft, die stark auf die Mündigkeit und Eigenverantwortung ausgelegt ist, dann doch irgendwie nur bedingt hilfreich. Unser Steinzeithirn hat sicher nicht über die Tüte Gummibärchen oder den SUV nachgedacht. Vielleicht eher über „darf ich die Frau von meinem Nachbar?“. Gut vielleicht ne Nummer kleiner „darf ich das Messer von meinem Nachbar klauen“. Hm war wahrscheinlich auch verdammt gefährlich.
Wobei … vielleicht hat das gar nicht so viel mit Moral zu tun. Sondern mit der Art des Lernens im sozialen Kontext. Belohnen und bestrafen. Gutes Verhalten wird belohnt, schlechtes bestraft. Und im Zweifel ist es immer ein Mix aus beidem mit dem wir im Leben konfrontiert werden. Wir bestrafen uns ja auch gegenseitig in Beziehungen. Ganz ohne Peitsche. Und genauso lernen wir auch, dass wir eben nicht alles mit uns machen lassen. Bzw. etwas in uns begehrt dann auf. Alles andere endet ungesund. Und dieses Phänomen der moralischen Lizenzierung mag darauf zurückzuführen sein. Mit bewussten und unbewussten Gedanken. Auch eine Strategie ein Koordinatensystem zu bauen, mit dem wir uns zurecht finden. Auch ein Gleichgewicht zwischen Individuum und Herdentier herzustellen. Wenn eine absolute Aufgabe des ICHs im Kollektiv sinnvoll gewesen wäre, hätte sich das durchgesetzt. Es gibt ja im Tierreich solche Beispiel. Aber scheinbar hat ein zumindest eine Prise Egoismus seinen Sinn.
Aber je mehr Freiheiten und je mehr Möglichkeiten und je größer die gesellschaftlichen Herausforderungen um so hinderlicher das Konzept.
Dann noch kurz ein Einwurf bezüglich Verhaltensänderung – hier im Corona-Kontext. Des is eben gar nicht so einfach, den Autopiloten umzusteuern. Aber mit den richtigen Geschichten wird das schon. Sicher bin. Hatschi.
Das blöde ist nur, das ist auch etwas was man ein bisschen üben muss. Also von heute auf morgen schafft das fast keiner. Und manche Nieser kommen ganz schnell und wenn das da nicht total tief verankert ist … also aus der Gewohnheitforschung wissen wir, ich muss was 200 mal gemacht haben und dann wird es vielleicht ein Automatismus ja. Und nicht von heute auf morgen. Da kann es dann sehr helfen, wenn man sich irgendwie versucht dahin zu trainieren.
Wo wir gerade bei Verantwortung und Verwässerung waren. Jochem hat heute auf dem Extrem-Wetter-Kongress mit dem Blick auf die Aufweichung der Klima-Sektorziele festgehalten, dass empirisch belegt ist, dass wenn man Verantwortung verteilt am Ende sich keiner verantwortlich fühlt. Hat er selbst zu geforscht. Und ja der ein oder andere kennt das auch aus seinem Job. Du musst immer Köpfe zuordnen, weil ansonsten vergiss es. Is wie mit den Mülltonnen im Wohnblock und so. Wenn Verantwortung eben nicht eindeutig ist und verwässert und man sich hinter anderen verstecken kann. Meine Überlegungen bezüglich Sektorziele gingen grade in die Richtung, dass Verkehr und Wärme stark an der Elektrifizierung sprich Energiewende hängen. Wärmepumpen brauchen Strom, E-Auto braucht Strom, Bahn braucht Strom. Und ja um Energieeffizienz kann man sich unabhängig davon kümmern, aber dennoch ist da eine zu unterschätzende Abhängigkeit. Aber Jochem hat da nen wichtigen Punkt. Wenn ich verantwortlich bin, dann mach ich im Zweifel auch beim Lieferanten Druck oder helfe ihm. Und um auch auf Nora wieder zurückzukommen, warum sollte ich mich speziell kümmern, wenns der andere es auch nicht tut. Und überhaupt ich hab grade vegane Wurst gekauft. Oder wie ich immer sagen, man kauft sich mit veganer Wurst frei. War mir gar nicht bewusst wie Recht ich da hab. Wenn man Nora glauben darf.
Ach ja ab Minute 25 – der Plöger is auch ganz gut. Der spricht danach.
Der Jochem is da mal recht eindeutig unterwegs. Das 2 Grad Ziel hat er quasi auch schon abgeschrieben. Wo wir wieder bei der Studie von seinem exzellentem Cluster aus Hamburg wären. Oder wie er es diesmal ausgedrückt hat: Lösungen sind schon seit längerem bekannt, aber wir setzen sie nicht um gesellschaftlich. Stimmt. Stattdessen debattieren wir uns tot. Und verheiraten jede Progressive Idee mit Klimaschutz oder jede Konservative Abneigung. Okay die letzten beiden Sätze sind nicht von ihm. Aber seine Feststellung stimmt. Die Gesellschaft bewegt sich nicht. Und wenn ich die Studie richtig im Kopf habe, alle gesellschaftliche Gruppen nicht. Und wer jetzt wieder schreit: die doofen Konservativen, überlege bitte noch mal welche Einkommensgruppen grün wählen und wie klimaneutral die dann wirklich leben. Aber Hauptsache die Moralkeule fliegt und landet auf der Waage. Und das Häuschen mit Garten haben wir natürlich auch sicher.
All diese Verhaltensforschung – ich drücks mal so grob aus – fehlt mir so oft in den Betrachtungen. Bei vielen Wissenschaftlern und in der Politik eh. Und solche Erkenntnisse wie eben fehlende Verantwortung oder Verantwortungsverwässerung kennen doch viele aus dem Alltag. Das sind jetzt keine so überraschende Erkenntnisse. Wo wir wieder beim Punkt sind, dass zumindest auf Entscheider-Posten ein Wissen nötig ist. Wissen über solche Effekte.
Im Übrigen halte ich dieses ganze Gerede von Teilhabe und Mitmachprojekt für die gleiche Verantwortungsverwässerung. Anstelle die Sache in die Hand zu nehmen, hofft man auf breite Beteiligung und das sich jemand um das Problem kümmert. Deutschlandpakt. Wir laden alle ein. Und dann fällt die Lösung vom Himmel, weil alle total motiviert sind. Diese progressiven Ansätze sind ja süß, aber treffen den Punkt eigentlich nicht. Es wird immer Entscheider geben. Immer Eliten geben, die mehr Macht haben als das gemeine Fußvolk. Die Kunst ist aber in unserer modernen Zeit, diese Kluft zwischen Elfenbeiturm als Synonym für gestaltende Eliten jeglicher Art und dem Fußvolk klein zu halten. Das Gegenteil von dem was heute passiert. Man muss Vertrauen in die Eliten haben. Sich auch von ihnen verstanden und vertreten fühlen. Nur darauf zu hoffen, dass Bürgerräte und was auch immer für geartete Partizipation das Problem lösen, ist der falsche Weg. Was im übrigen auch die Verantwortung auf den kleine Mann abschiebt. Man ist so großzügig ihn teilhaben zu lassen, jetzt mach mal. Okay ich überspitze. Was mich einfach fehlt, ist dass wir in einer Demokratie eben nicht diese Entfremdung bräuchten, wie wir sie gerade haben. Und das fängt halt schon bei Sprache an.
Aber wahrscheinlich sind Menschen dann eben doch zu sehr Herdentiere. Bedacht auf Status, der einem den besseren Platz am Trog sichert. Bin mir sicher, da gibs auch so psychische Phänomene, die uns unbewusst steuern. Und manchmal wird dann sogar Moral zur Währung auf dem Weg nach oben.
Wir Menschen lieben ja Konkurrenzsituationen. Und ich finde ja, wir sollten ja auch mehr auf diese Motivation setzen – ihr Nachbar spart Strom und so. Soll ja Wunder wirken. Und belebt ja angeblich das Geschäft. Bei Moral funktioniert das scheinbar nur bedingt. Zwar innerhalb einer Gruppe scheinbar schon. Siehe progressives Lager und moralische Selbstdarstellung und so weiter. Aber gesamten gesellschaftlichen Kontext eben nicht. Dafür existieren zu viele verschiedene Vorstellungen. Und grundsätzlich haben wir total progressiv Konkurrenz für doof erklärt. Is wie mit Verantwortung. Wer braucht das schon. So ein gleichberechtigtes Mitmachdingel wo jeder seine Beitrag voll von sich aus freudestrahlend einwirft, dass wird die Lösung.
Und sie saßen da und schauten sich an. Und es passierte nixe.
Halten wir fest, wenn sich niemand verantwortlich fühlt, passiert auch nix. Wenn alle verantwortlich sind, is das so wie wenn keiner verantwortlich ist. Moral isst schön, aber wenn es eben „nur“ um soziale Normen geht, dann sind sie halt auch für uns nur weich und wir verrechnen. Anreize also Würtschtel hin oder her. Und ja, wahrscheinlich sind wir so. Wenn wir die Freiheit haben, dann nutzen wir sie auch. Alles in allem wieder Bausteine, die erklären warum eben alle so ist wie es ist und keiner was tut.
Am Ende ist jeder sich selbst am nächsten. Immer. Und das hat wahrscheinlich auch seinen Sinn. Nacht.