Vermeintliches Wissen

Das Leben ist ein großes soziales Konstrukt. Jenseits von Wahrheit.

Anthropologie is ja mal ein Ding. Da hat der alte weise Philosoph ein paar nette Dinge zu gesagt. Weil ja kruzifix nocheinmal, wir wissen heute über den Menschen viele Dinge. Jenseits der Wunschvorstellungen der Vergangenheit. Jenseits von „wir denken uns den Menschen uns seine Fähigkeiten schön“. Ich finde ja gerade Psychologie ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr man mit ganz viel kreativer Theorie ganz wilde Sachen interpretieren kann. Also so mal in der Historie betrachtet. Und ja zum Glück sind wir mittlerweile weiter. Theoretisch. Auch wenn praktisch viele noch an altem Festhalten. Weil auch sie sich weigern neue Erkenntnisse zu akzeptieren. Überzeugung ist alles. Anthropologie, Evolutionsbiologie, Neurowissenschaften jeglicher Natur. Und ja auch Psychologie und Sozialpsycholgie. Wobei das verdammt breit ist. Und auch dort eben immer noch viel kreative Theorie ihr Unwesen treibt. Jenseits von stichhaltiger Evidenz.

Und manchmal glaube ich, man will neues Wissen gar nicht verarbeiten. Weil es die alten oder eigene Theorien kaputt macht.

Und ja der Mensch ist eben nicht unendlich formbar. Ist nicht vernunftbegabt. Das Konzept der Vernunft hat die Evolution nicht vorgesehen. Unser Bewusstsein hat seine Grenzen. Vielmehr sind wir anderen Dingen ausgeliefert, die für das Überleben wichtig waren. Und vieles von dem wir glaubten, wir hätten diese und jene Fähigkeiten, oder Erklärungen von Zusammenhängen/ Verhalten sind hinfällig. Gerade Sozialwissenschaften sind eben keine Naturgesetze. Und sehr lange Zeit ohne Methoden Theorien mit der Realität abzugleichen. Und noch heute konstruieren sich Teile der Sozialwissenschaften die Welt und sagen „das ist so“.

Kommen wir heute zu Klatsch und Tratsch. Gerüchteküche. Hast du schon gehört?

Und ja es geht am Ende um mehr. Um mehr als bloße Gerüchte. Es geht um die Vermittlung von Wissen. Von vermeidlichem Wissen. Ohne Garantie auf Wahrheit. Es geht darum wie wir Menschen ticken.

Gerüchte haben einen stärkeren Einfluss auf die Meinung und Entscheidungsfindung als Fakten, ergab eine Studie deutscher Wissenschaftler. „Menschen werden übermäßig stark von Klatsch beeinflusst, auch wenn er dem widerspricht, was sie gesehen haben“, berichtete der Biologe Ralf Sommerfeld vom Max Planck Institut für Evolutionsbiologie im schleswig-holsteinischen Plön in dem US-Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

Menschen seien kulturell daran gewöhnt ihre Entscheidungen aufgrund von Tratsch, Gerüchten oder anderen mündlich überlieferten Informationen zu treffen, erklärte Sommerfeld. Diese Strategie sei vor allem erfolgreich in Umgebungen, wo ein Mensch nicht alles selbst beobachten kann, sondern auf indirekte Informationen aus anderen Quellen angewiesen ist.

Menschen glauben eher Klatsch als Wahrheit

Es geht nicht um Wahrheit, wie so oft im Leben. Wahrheit hat die Evolution nicht vorgesehen. Aber ganz viel Gruppendenken, Zugehörigkeitsgefühl und Effizienz. Wir lernen von einander. Wir stellen das Wissen der Gruppenmitglieder selten in Frage. Vor allem wenn sie einen gewissen Status haben. Wenn jemand eine Behauptung über die andere Gruppe macht, dann glauben wir das. Wenn er das so interpretiert, wird das schon richtig sein. Und dabei kommen dann noch andere Dinge ins Spiel wie Generalisieren.

Also glauben wir einfach, wenn jemand behauptet zu wissen, was Merz will/ was er denkt etc. Einfach so. Wir hinterfragen nicht. Wir prüfen nicht. Wir prüfen nicht, wenn wieder eine Sau durch Twitter gejagt wird, ob es „zurecht“ passiert. Wir können nicht alles wissen und werden nie alles wissen. Wir verlassen uns, auf das was wir hören. Hast du schon gehört?

Es gab schon viele dunkle Dinge in der Geschichte der Menschheit. Und es waren selten Einzelpersonen. Es war die Masse. Die Gruppe. Die glaube und tat. Die überzeugt war, das richtige zu tun. Der Mensch ist ein Herdentier. Eine Herde folgt. Und je größer die Herde um so schlimmer aber das Resultat. Die Evolution hat große Herden nicht vorgesehen. Die Evolution hat keine Welt-Herde vorgesehen. Sie hat die Welt in der wir leben nicht vorgesehen.

Take a look in the mirror
And what do you see
Do you see it clearer
Or are you deceived
In what you believe
‚Cause I’m only human after all
You’re only human after all
Don’t put the blame on me
Don’t put your blame on me

Some people got the real problems
Some people out of luck
Some people think I can solve them
Lord heavens above

I’m only human
I do what I can
I’m just a man
I do what I can
Don’t put the blame on me

Rag’n’Bone Man – Human

Sie hat vorgesehen, dass unsere direkte Umgebung wichtig ist. Dass wir als soziale Wesen in ein System mit anderen Individuen eingebettet sind. Das Regeln hat. Soziale Regeln.

Ungefähr 60 Prozent aller Unterhaltungen zwischen Erwachsenen, schätzen Psychologen, drehen sich um Leute, die nicht anwesend sind. Erwachsene bringen also mehr als die Hälfte ihrer Gespräche mit Tratsch zu. Und das ist gut so, sagen die Forscher.

Denn Tratsch lehre den Menschen Dinge, die er sonst über schmerzliche Erfahrung lernen müsse. Außerdem, glaubt Robin Dunbar, Evolutionspsychologe an der Universität von Liverpool, sei Tratsch der Kitt, der die Gesellschaft seit alters her zusammenhalte: „Erst Tratsch macht die menschliche Gesellschaft, wie wir sie kennen, möglich.“

Obwohl Tratsch gemeinhin einzelne Personen betrifft, leiteten die Teilnehmer eher generelle Verhaltensregeln ab. Sie reichten von „vergiss nie, wer deine wahren Freunde sind“ bis hin zu „Untreue kommt immer irgendwann heraus“.

Besonders finstere Geschichten transportieren eine Moral offenbar am besten — wie Märchen, die auch oft grausige Elemente haben. Je negativer die Gefühle waren, die eine Tratschgeschichte ausgelöst hatte, desto eher meinten die Teilnehmer, etwas daraus gelernt zu haben.

Im Anfang war der Tratsch

Tratsch und Klatsch. Der Schulbuch der sozialen Regeln Normen. Und nicht nur der. Aber gerade soziale Normen, Werte werden so transportiert. Wir lernen was wir zu denken haben, was wir sagen dürfen, was wir tun dürfen – und was eben besser nicht. Twitter zeigt es uns jeden Tag. Dein Stamm ist alles. Dein Bubble ist dein Stamm. Und jeden Tag interpretiert er und erzählt die neue Geschichten. Über sich und die anderen. Dinge fern von Wahrheit und Wissenschaft.

Denn Tratsch schweißt zusammen. „Klatsch entsteht aus dem menschlichen Bedürfnis nach Zugehörigkeit“, erklärt der amerikanische Psychologieprofessor Nicholas DiFonzo. „Er tritt dort auf, wo jemand versucht, soziale Netze zu knüpfen, zu verändern oder zu festigen.“ Besonders gern wird am Kaffeeautomaten oder Wasserspender geschnackt. Deshalb nennt DiFonzo das Phänomen den „Watercooler-Effekt“. 

Wer in den neusten Gossip eingeweiht wird, fühlt sich akzeptiert. „Auf diese Weise verstärken Klatsch und Tratsch unsere Freundschaften und Allianzen“, sagt DiFonzo. Wenn die Gerüchteküche erstmal so richtig brodelt, kriegen zwar Außenstehende ihr Fett ab. Doch in der eigenen Gruppe wirkt das Getuschel wie sozialer Klebstoff. Klatsch streichelt die Seele.

Der Watercooler-Effekt: Warum Lästern gut ist

Gruppen sind unser Untergang in der modernen Welt mit multidimensionalen Krisen. Auch die eigene. Die einem den Blick versperrt. Deren „Wissen“ und Meinung man ohne zu hinterfragen einfach übernimmt. Deren Verhalten man immer relativiert, während man bei anderen Gruppen bei gleichem Vergehen Schnappatmung bekommt.

Kooperation unter maximalem Druck oder wie das hieß, kann nicht funktionieren in unserer modernen Welt, solange wir das nicht verstehen. Solange nicht zumindest die Entscheider verstehen.

Es geht nicht nur um Extreme/ Auswüchse/ Ränder. Die sind in unserer Wahrnehmung immer am gefährlichsten und wir haben den Hang zum Generalisieren und stülpen diese Extreme/ Einzelaussagen auf die ganz Gruppe. Alle Konservativen sind dann rechte Arschlöcher oder Faschisten oder Klimawandelleugner oder Handpuppen der fossilen Lobby. Und somit eben auch große Teile der Mitte der Gesellschaft. Wir machen dieses Wissen zum Pflichtwissen der Gruppe. Bauen Stereotypen. Auf der anderen Seite genauso. Und auch die stülpen damit extreme Stereotypen über die breite Teile der Mitte der Gesellschaft. Die eben jenseits dieser Extreme denkt und lebt. Sie wird genauso zur Zielscheibe.

Es geht nicht nur um Ideen von More in Common – so sehr ich sie schätze – und Teambuilding-Maßnahmen für die Gesellschaft. Es geht primär erstmal um Problemverständnis. Ein gemeinsames Kochen ner Handvoll Menschen löst unser Stammesdenken nicht auf. Genau sowenig wie der Hochseilgarten zwischenmenschliche Probleme in Teams.

Ich halte nichts davon wenn Wissenschaft in Gesellschaft ausgetragen wird. Und damit meine ich wissenschaftlichen Diskurs/ Streit. Das Ringen um Erkenntnisfortschritt. Das verwirrt die meisten nur. Aber es gibt wissenschaftliche Erkenntnis, die in die Welt gehört. Und dazu gehört das wissen, wie wir Menschen funktionieren. Damit man zumindest überhaupt die Chance hat, sich selbst zu hinterfragen. Und manchmal braucht es auch alte weise Männer. Mit ganz viel Ruhe und Wissen, um sich selbst zu hinterfragen. Wenn man es allein nicht schafft. Weil man Dinge nicht sehen will. Aber man könnte, die Welt auch anders betrachten. Jenseits der Gruppe. Gierig nach Wissen. Fern sozialer und politischer Strukturen.

Ach ja, auch S4F ist eine Gruppe. Mit geschlossenen Weltbildern. Mit Stereotypen. Mit Klatsch und Tratsch. Mit internen Regeln. Was man darf und was nicht. Wovon man überzeugt zu sein hat. Eine Gruppe mit Alphas, die die Richtung und das Wissen bestimmen. Gruppen töten Wissenschaft. Wissenschaftsfreiheit. Sie machen aus Wissenschaft Politik. Sie machen aus dem erarbeiten von Wissen ein bewusstest Interpretieren. Jochem hat schon recht. Man bewegt sich dann in einem Korsett. Es geht nicht mehr um Wissen. Es geht nicht um die Suche nach Wahrheit. Es geht um Weltbilder. Weltbilder der Gruppe. Regeln der Gruppe. Ziele der Gruppe. Überzeugungen. Glaube. Denkschulen.

Wer sich bedroht fühlt, der verfällt noch mehr in Gruppen. Wir suchen den Schutz der Gruppe. Passen uns noch mehr an. Grenzen uns noch mehr von anderen ab. Suchen starke Führer. All diese Kämpfe machen Angst. All diese Kämpfe verstärken, dass wir uns immer mehr zusammenrücken und doch voneinander entfernen. Ich suche keine Schutz der Gruppe. Dafür habe ich mit zu vielen Dingen abgeschlossen. Ich habe keine Angst vor dem Ende. Aber ich bin nicht mehr bereit mich zu bewegen, wenn es andere eben nicht sind. Es ist sinnlos gegen Überzeugungen anzukämpfen. Gegen Gruppendenken anzukämpfen. Menschen zu glauben. Wenn sie davon reden, Gruppendenken aufbrechen zu wollen. Weil am Ende wollen sie es eben auch nicht. Weil sie eben auch nur Menschen sind. Gefangen in sozialen Strukturen und vermeintlichem Wissen/ gemeinschaftlicher Wahrheit.

Wahrheit hat die Evolution nicht vorgesehen. Auch wenn wir glauben im Besitz dieser zu sein. Aber dafür besteht die Evolution auf ganz viel Zugehörigkeit und Vertrauen in andere. Ob gerechtfertigt oder nicht.

A-, Amen, Amen, Amen

Take me to church
I’ll worship like a dog at the shrine of your lies
I’ll tell you my sins and you can sharpen your knife
Offer me that deathless death
Good God, let me give you my life
Take me to church
I’ll worship like a dog at the shrine of your lies
I’ll tell you my sins and you can sharpen your knife
Offer me that deathless death
Good God, let me give you my life

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